Seit meinem letzten Blogeintrag ist einige Zeit ins Land gegangen. Das lag an zweierlei. Zum einen hat mich der Roman, den ich euch heute vorstellen will fast 6 Wochen lang begleitet, zum anderen fehlte mir einfach die freie Zeit für den nächsten Eintrag. Aber in der nächsten Zeit wird es wieder ein paar Einträge geben.
Den Roman „Der Sommer vor meinem Fenster“ von der finnischen Autorin Eeva-Kaarina Aronen habe ich in meiner Lieblingsbuchhandlung entdeckt, kurz bevor sie geschlossen worden ist. Der Klappentext und der Ort des Geschehens, Finnland, hatten meine Neugier erregt. In Finnland habe ich selbst schon einen Monat verweilt und es ist wirklich ein sehr schönes Land. Ich war gespannt, ob mich dieser Roman nach Finnland zurückversetzen könnte.
„Bezaubernd, schön und klug. Und ein tiefer Blick in die finnische Seele. – Helsinki im Jahr 2005: Hagar Edith Wikström weiß noch nicht, dass dies der letzte idyllische Sommer in der Wohnsiedlung Kanaan sein wird. Sie arbeitet seit Jahren als Rundfunkjournalistin von zu Hause aus. Ihre Gewohnheit, Fenster, Höfe und Bewohner in ihrer Nachbarschaft zu beobachten, lässt sie in diesem Sommer Zeuge dramatischer Ereignisse werden, die in einer Katastrophe gipfeln…“ Die Autorin Aronen ist Journalistin beim Helsingin Sanomat, der größten finnischen Tageszeitung, so dass sie ihre eigene Beobachtungsgabe gut ihrer Protagonistin und Ich-Erzählerin Hagar geben konnte.
Besonders für Leser außerhalb Skandinaviens erweist sich das Personenverzeichnis zum Beginn des Buches als sehr hilfreich. Nicht nur die finnischen Namen (vor allem die Nachnamen), sondern auch die jeweilige Einsortierung in das Geschehen erleichtert ein Zurückblättern auf dieses Verzeichnis. Ich habe es vor allem genutzt, um mir in Erinnerung zu rufen, in welchem Zusammenhang ich von der jeweiligen Person bereits gelesen habe. Zusätzlich gibt es ein Namens- und Sachregister von der Übersetzerin Angela Plöger im Anhang, in dem in der Reihenfolge der Geschichte Items kurz erläutert werden, die zum Beispiel mit der finnischen Geschichte zu tun haben. Leider habe ich dieses erst entdeckt, als ich die Geschichte fast zuende gelesen hatte. Ein Verweis zu Beginn des Romans auf dieses Verzeichnis wäre hilfreich gewesen. Komme ich nun zu der Geschichte selbst. Sie ist in keine sichtbaren Kapitel eingeteilt, die mit Titeln oder Zahlen überschrieben wären.
Die Unterteilung findet mithilfe von vorangestellten, relativ kurzen kursiven Textabschnitten statt. Diese kursiven Anteile sind für mich immer sehr schwer zu deuten gewesen. Inhaltlich sind sie ziemlich dicht und in einer teilweise poetischen Sprache verfasst worden. Hinzu kommen Anspielungen, die in diesen Absätzen eingeflochten sind, die mich danach das Buch häufig weglegen ließen, um noch einmal über das Gelesene nachzudenken. Meine Vermutung ist, dass hier Hagars innere Stimme und ihre innersten Gedanken zum Leser sprechen. Aber ganz eindeutig ist das nicht, da Hagar in der Geschichte selbst zu Wort kommt. Eine andere Vermutung von mir ist, dass es sich hierbei zum Teil um Vorausdeutungen handelt, was sich gerade innerhalb der Geschichte anbahnt. Aber lest am besten selbst. Hier folgt ein Beispiel aus dem Buch:
„ >Und es wird Gestank statt Wohlgeruch sein und ein Strick statt eines Gürtels und eine Glatze statt lockigen Haars und statt des Prachtgewandes ein Sack, Brandmal statt Schönheit< Die Prophezeiung eines Urteilsspruchs! Ich muss Jesaja lesen. Es bedarf der Raserei von Propheten. Das habe ich zu Grab gesagt. Er drückte mir seinen Mund ans Ohr und flüsterte: >Da steht auch dies: „Da flog einer der Seraphim zu mir und hatte eine glühende Kohle in der Hand, die er mit der Zange vom Altar nahm, und rührte meinen Mund an und sprach: Siehe, hiermit sind deine Lippen berührt, dass deine Schuld von dir genommen werde und deine Sünde gesühnt sei.“< Sühne! Gibt es die? Nein. Out, out, brief candle! Das ist: Aus, aus, du kleine Kerze.“ (S. 18)
Ich finde es schade, dass die Bedeutung dieser kurzen Abschnitte für mich häufig im Dunklen geblieben ist. Die normale Geschichte kam für mich auch nur langsam in Fahrt. Hagar als Erzählerin springt zwischendurch in ihren Beobachtungen und Gedanken, so dass ich mich beeilen musste, um hinterherzukommen. Erst als es in die Vorbereitungen eines großen Festes zu Ehren der Wohnsiedlung geht, bin ich in die Geschichte hineingekommen und erahne die im Klappentext genannte Katastrophe. Jedoch hätte ich mir gewünscht bereits eher mit Hagar und der Geschichte warm zu werden. Hagar macht Aufnahmen für ihre Radiosendung „Schweigen“, denn durch das Schweigen offenbart sich das Wahre und wirklich Interessante. Zu Beginn dachte ich, dass sie dann wirklich eine Stunde lang schweigen würden, aber das klärt sich im Laufe des Romans. Vor allem Hagar schweigt und lässt ihre Gäste reden. So hält sie sich zurück und gibt höchstens kleine Impulse, wenn sie es als nötig empfindet. Dank einiger Beispiele im Buch wurde das plastisch. Das könnte meiner Meinung nach wirklich ein interessantes Konzept für eine Radiosendung sein. So erfährt der Leser im Roman einiges über die Geschichte Finnlands und insbesondere der Wohnsiedlung Kanaans und in welcher Verbindung sie zu Russland steht. Denn die Geschichte wird für das Fest und auch in Hagars Erinnerungen aufgearbeitet. Daneben erfährt der Leser mehr über Hagar. In kleinen bunten Schnipseln zeigt sie etwas von ihrer Vergangenheit, von ihren Gedanken, Beobachtungen und ihrem Glauben (z.B. dass die tote Verwandschaft sich noch in ihrem Haus als Geister aufhalten). So kann der Leser sich bruchstückhaft ein Bild über die Erzählerin zusammensetzen.
Mein Fazit fällt sehr zwiegespalten aus. Zum einen hat mir die teilweise poetische und verschwurbelte Sprache gefallen, zum anderen hat sie mich aufgeregt, weil sie mich im Lesefluss immens gestört hat. Sie hat mich deshalb gestört, weil ich nicht alle Anspielungen verstanden habe und vielleicht als deutsche Leserin auch nicht verstehen konnte. Dabei waren es nicht die finnischen Eigennamen gewesen, die vielleicht störend sein könnten. Vielmehr war das Geflecht an Beobachtungen und Gedankensprüngen der Erzählerin häufig schlecht nachzuvollziehen. Dieses klärte sich erst am Ende.
Insgesamt ein eher anspruchsvoller Roman, in dem man etwas wissenswertes über Finnland erfährt. Oder mit den Worten des Keskisuimalainen gesagt:
„Ein Kaleidoskop, dessen farbige Teilchen bei jeder Bewegung der Hand klirrend in eine neue Position fallen. Die Poesie der Sprache ist mehrdimensional, ausdrucksstark und nuancenreich.“