Vorletztes Jahr in der Vorweihnachtszeit fielen mir immer wieder Bücher von Alice Munro in die Hand. Das geschah keineswegs zufällig, denn durch einen Aushilfsjob in einer Buchhandlung verpackte ich Tag für Tag viele Bücher weihnachtlich. Bei Gelegenheit las ich mir die Klappentexte von Munros Erzählungen durch und entschied mich dazu „Viel Glück“ als Weihnachtsgeschenk für meine Mutter zu kaufen. Dabei war es für mich nicht ausschlaggebend, dass Alice Munro 2013 den Nobelpreis für Literatur gewonnen hatte. Jedoch steigerte er meine Neugier ein wenig. Jetzt, etwa anderthalb Jahre später, habe ich ihre Erzählungen schließlich gelesen. Mein Interesse, das durch den Klappentext geschürt worden war, wurde nicht enttäuscht.
Klappentext:
„Zu viel oder zu wenig – für das Glück gibt es kein Maß, nie trifft man es richtig. Alice Munros Heldinnen und Helden geht es nicht anders, aber sie haben das Zuviel oder Zuwenig erlebt: eine Balance, die nur schwer zu finden ist. Auf ihrer Suche macht Alice Munro ihre Leser zu Komplizen dieser spannenden Mission.“
In zehn Erzählungen nimmt Munro den Leser nicht nur mit auf die Lebensgeschichte (oder einem Ausschnitt derselben) eines Protagonisten, sondern zeigt ihm auch das Umfeld ihrer Protagonisten. Ob ein Protagonist nun zu viel oder zu wenig Glück gehabt hat, liegt häufig in der Interpretation des Lesers selbst. Munro schafft es, den Lesern genügend Freiräume zu lassen, um sich seine eigene Gedanken zu machen. Besonders zum Ende einer jeden Erzählung brauchte ich eine kurze Pause, um das Gelesene noch einmal Revue passieren zu lassen. Angeregt durch die offenen und halboffenen Enden wirkten die Erzählungen in mir nach. Denn durch ihre klare und zumeist nüchterne Sprache, bringt Munro Begebenheiten auf den Punkt, ohne sie zu verklären. Trotz des nüchternen Stils blitzt zuweilen auch etwas Humor durch und hat mich schmunzeln lassen.
In den zehn Erzählungen „Dimensionen“, „Erzählungen“, „Der Grat von Wenlock“, „Tieflöcher“, „Freie Radikale“, „Gesicht“, „Manche Frauen“, „Kinderspiel“, „Holz“ und „Zu viel Glück“ greift Munro die unterschiedlichsten Spielarten des Lebens auf.
In „Dimensionen“ erfährt man von einer Frau, die ihren Mann im Gefängnis besucht und erfährt dabei nach und nach wie der Mann im Gefängnis gelandet ist. Das Schicksal der Frau bis zur Inhaftierung ihres Mannes ist kein einfaches gewesen. Doch ob es sich nun für sie (in ihrem Leben ohne ihren Mann) als besser und glücklicher erweist, ist offen.
In „Erzählungen“ macht Munro auf das Schicksal von Joyce aufmerksam, die, egal wie sehr sie ihr eigenes Leben beginnt, immer irgendwie mit ihrer ersten großen Liebe verbunden ist. Diese Verbundenheit zeigt sich in den unterschiedlichsten Situationen, die zufällig und keineswegs gewollt ihren Lebensweg streifen.
„Der Grat von Wenlock“ zeigt auf wie nahe Glück und Unglück häufig beieinanderliegen. Sie liegen vor allem im Auge des Betrachters. Denn was einer für Glück in der Beziehung oder auch dem Bestreiten des Lebensunterhaltes sieht, ist für den anderen alles andere als Glück. Dieses zeigt Munro am Schicksal von Nina auf, die in ihrer Universitätsstadt dank ihrer neuen Zimmergenossin nicht nur ihren Cousin außerhalb zum Abendessen trifft. In gewisser Weise deutet die Autorin hier auch das Thema Abhängigkeiten an, das bereits in den ersten zwei Erzählungen mit zur Thematik dazugehörte.
Bei „Tieflöcher“ wohnt der Leser einem Ausflug einer Familie bei. Die Begeisterung des Manns für seine Arbeit über die „Tieflöcher“ bedeutet für die Familie viel aber schließlich auch wenig Glück. Denn Kindersegen kann bei kindlichem Übermut auch schnell eine Kindertragödie werden.
„Freie Radikale“ ist eine humorvolle Erzählung von einer alten Witwe, deren Glück es beinahe war, dass ihr Mann verstorben war. Vor allem bei ihrer Begegnung mit einem Mörder, der sie ganz alleine in ihrem abgeschiedenen Haus aufsucht. Ob es nun das Glück ihres verstorbenen Mannes oder ihre Schlagfertigkeit war, die für sie Glück bedeutete? Lest selbst.
Über das Schicksal mit einer körperlichen Entstellung zu leben, schreibt Munro in „Gesicht“. Man stelle sich vor, man ist mit einem riesigen violetten Muttermal im Gesicht geboren, das an ausgelaufenen Traubensaft erinnert und jeder starrt einen an. Kann so eine >Entstellung< für den Betroffenen auch Glück bedeuten?
„Manche Frauen“ zeigt auf wie falsche Fürsorge und einengendes Mitleid einem Sterbenden zur Last werden kann. Dieses erzählt Munro aus der Sicht eines Dienstmädchens, dem der Sterbende sich anvertraut. Dabei porträtiert sie wunderbar unterschiedliche Frauentypen, die maßgeblich für den Titel waren.
In „Kinderspiel“ wird der Leser Zeuge wie grausam Kinder untereinander sein können. Da reicht es manchmal schon, dass die anderen Kinder irgendwie anders sind. Wenn das alles dann noch in einem Unglücksfall endet, verfolgt es die Betroffenen oft bis ans Ende ihrer Tage.
In „Holz“ widmet sich Munro einem älteren Ehepaar, insbesondere aus der Perpektive des Mannes, der schon fast vernarrt in Holz ist. Er arbeitet damit, fällt Bäume und verarbeitet sie zu Feuerholz. Doch nicht nur das Holz steht bezüglich des Glücks im Vordergrund. Auch die Beziehung des Paares wird beleuchtet und ein Weg gezeigt wie Beständigkeit zu einer langen Ehe führt, selbst wenn die einzelnen Personen ihre Individualität ausleben. Eine Geschichte, die mich sehr berührt hat.
„Zu viel Glück“ erzählt von einer Mathematikerin, die ihrem partnerschaftlichen Glück hinterher reist, nachdem sie es bereits in der Welt der Zahlen gefunden hatte. Ein Weg, der um 1900 nicht einfach für eine Frau war. Denn die Mathematik gehörte in erster Linie in die Hand der Männer. Der Leser begleitet Sofia Kowalewskaja auf ihrem Lebensweg. Eine Erzählung, die fast einer kleinen Biografie gleicht. Denn die Mathematikerin Sofia Kowalewskaja hat wirklich gelebt und die Erzählung selbst beruht auf überlieferten Begebenheiten.
Fazit:
Mir hat die Sammlung von Erzählungen von Alice Munro gut gefallen. Sie hat mich in immer neue Schicksale entführt, die einzeln für sich immer nachwirken mussten. Denn ich fragte mich nach jeder Erzählung: Wo gab es für den Protagonisten zu viel Glück, oder doch eher zu wenig Glück? Inwieweit spielt >Glück< in dem Schicksal für eine Rolle? Ich kann „Zu viel Glück“ jedem empfehlen, der tiefgründige Erzählungen in einer klaren und nüchternen Sprache mögen.
Hallihallo und frohes, neues Jahr!
Deinen Blog habe ich gerade über die Bücherblogger-Gruppe auf Facebook entdeckt und gleich mal deine Rezension zu Alice Munros Buch gelesen. Ihre Bücher fallen mir immer wieder in die Hand, aber bisher habe ich noch keins gekauft. Deine Rezension könnte das jetzt ändern. 😛
Da es mir hier auch sonst gut gefällt, bleibe ich dir als Leser erhalten. Ich denke, ich füge dich in meine Blogroll bei Blogger ein, also wird das wahrscheinlich nicht viel an deiner Statistik machen. Die WordPress-Mails landen bei mir sowieso immer nur im Papierkorb… 😀
Viele liebe Grüße, einen guten Start ins neue Jahr und viele tolle Lesemomente,
Kim (allthesespecialwords.blogspot.de)
Hallo Kim,
ich wünsche dir auch ein frohes Neues. Schön, dass dir mein Blog gefällt. Ich habe mich sehr über deinen Besuch gefreut. Deinen Blog werde ich mir auch gleich einmal ansehen.
Von Alice Munroe kenne ich bisher auch nur diese eine Sammlung von Erzählungen. Wenn du sie liest, ist es wichtig, dass du dich ganz auf die Geschichten einlässt. Sie sind nichts für eine schnelle Unterhaltung, sondern hallen nach. Ich musste über einige auch im Nachhinein nachdenken.
LIebe Grüße und ein tolles neues LEsejahr wünsche ich dir,
Immi