Simone de Beauvoir war mir als Name immer ein Begriff, nur direkt wusste ich sie nicht einzuordnen. Deshalb war ich umso neugieriger, als ich ihre „Memoiren einer Tochter aus gutem Hause“ in die Hände bekam und nahm es mir mit. In der Erwartung mehr über Simone de Beauvoir zu erfahren, begann ich diese Autobiographie zu lesen. Sie sollte mich über einen Monat begleiten.
Der Klappentext beinhaltete bereits einen Hinweis auf den Schwerpunkt, der diesen Memoiren zugrunde liegt:
„Mit unbedingter Aufrichtigkeit erzählt hier eine der <klügsten Frauen des Jahrhunderts> die Geschichte ihrer Jugend bis zur Begegnung mit Jean-Paul Sartre. Dies ist zugleich die Geschichte ihrer Befreiung aus dem Bann der konventionellen Denk- und Lebensformen des Elternhauses und damit ihrer Befreiung zu sich selbst.“
Simone de Beauvoir ist am 9. Januar 1908 in Paris geboren worden und starb am 14. April 1986 in Paris. Sie gilt als führende Gestalt des französischen Existentialismus in der Literatur. Ihre Arbeiten sind von einer dialektisch-materialistischen und existientellen Weltanschauung bestimmt. Dabei schwingt immer wieder ihre Forderung nach einer vollständigen Emanzipation der Frau in einer von Männern bestimmten Welt durch.
Der Schwerpunkt der Memoiren liegt vor allem auf Simones Denkformen und ihren seelischen Zuständen. Die Entwicklungen in der Realität dienen meistens als Anlass dafür, dass sie sich auf einer regelrecht philosophischen Weise mit sich und ihrer Umwelt auseinandersetzt. Und dieser Blick beginnt ansatzweise in ihrer Kindheit, vor ihrem Eintritt in die Schule und endet in den Memoiren mit dem Ende ihres Studiums.
Eine Betrachtung aus ihrer Kindheit, in der sie am Essenstisch sitzt und noch mit dem Löffel gefüttert wird: „Essen war nicht nur eine Entdeckungsreise und eine Eroberung, sondern auch die ernsteste meiner Verpflichtungen: <Einen Löffel für die Mama, einen für die Großmama… Wenn du nicht ißt, wächst du auch nicht.> […] Ich betrachtete Mamas Armstuhl und dachte bei mir: <Ich werde mich nicht mehr auf ihren Schoß setzen können.> Plötzlich war da die Zukunft: sie würde mich in ein anderes Wesen verwandeln, das <ich> sagte und das doch nicht mehr war. Ich habe alle Entwöhnung, allen Verzicht, alle Verlassenheit, alle aufeinanderfolgenden Tode schon früh vorausgeahnt.“ (S. 9)
In diesem Abschnitt zeichnet sich bereits die Melancholie ab, die im Verlauf der Memoiren in Richtung Depression rutscht. Denn wirklich glückliche, schon fast manische Phasen, durchbrechen Simones Leben nur kurzzeitig.
Eine dieser Phasen war es, als Simone ausbrechen wollte und ihre Freiheit als über Zwanzigjährige zumindest etwas auskosten wollte. Aus heutiger Sicht entlockt mir diese Art von Rebellion ein Schmunzeln. Zwar kommt sie sicherlich heutzutage auch noch ähnlich vor, aber würde sie sich in anderen Bereichen bewegen, als noch in Simones Familie:
„Meine Kusine Madeleine verbrachte ein paar Tage in Paris: ich nutzte eifrig die Gelegenheit. Sie war 23 Jahre alt, und meine Mutter erlaubte, daß wir eines Abends ganz allein ins Theater gingen: in Wirklichkeit waren wir übereingekommen, <schlimme> Orte zu besuchen. Die Sache wäre beinahe gescheitert, denn in dem Augenblick, als wir das Haus verließen, kam Madeleine auf den Gedanken, mir etwas Rouge aufzulegen; ich fand das hübsch, und als meine Mutter mich beschwor es sofort zu entfernen, erhob ich Einspruch dagegen. Zweifellos meinte sie, auf meiner Wange die Fingerspur Satans zu erkennen; mit einer Ohrfeige exorzisierte sie mich. Zähneknirschend gab ich nach.“ (S. 259)
Diese Episoden las ich wirklich gerne von ihr. Sie zeigten den Mut zur Handlung und auch nicht nur des In-Sich-Gefangenseins, die auch mich als Leser deprimiert hat. In ihrer Zeit als Studentin versucht sie zudem einige ihrer Ansichten auch mit den Philosophen zusammen zu führen, die sie las und für gut oder schlecht befand. So erfährt der Leser viel über Philosophen, die sie begeistert haben, aber auch ihre Melancholie geschürt haben. Denn sie schien häufig den Eindruck gehabt zu haben gegen Windmühlen zu kämpfen. Da half es auch nicht, dass sie sich engagierte Arbeiter zu unterrichten, die keinen Zugang zu der Bildung hatte, den sie bekam.
Häufig dachte Simone sogar über Selbstmord nach oder verlor sich in einem Gefühl der Einsamkeit.
„Ich hatte mich in solche Einsamkeit versenkt, daß ich in manchen Augenblicken der Welt vollkommen entfremdet war und daß sie mich durch ihre Fremdheit bestürzte; die Objekte hatten keinen Sinn mehr, ebensowenig wie die Gesichter oder ich selbst; da ich nichts mehr wiedererkannte;“ (S. 256)
Während der Lektüre dachte ich mir häufig, dass es Simone noch gut ging, denn ihrer besten Freundin Zaza erging noch schlechter. Schlechter in Bezug auf ihre Chance, eine Liebe zu finden, zu leben und sich vom Elternhaus loszusagen. Denn Zazas Mutter hielt sie an der kurzen Leine und ließ ihr nur wenige Freiheiten.
Fazit:
Ich finde es schwierig, zu den Memoiren ein eindeutiges Fazit zu verfassen. Die Memoiren sind sehr vielschichtig. Man erfährt etwas von Simone, von ihrem Umfeld und ihren Gedanken. Immer wieder geht es auch um ihr Bestreben, sich Freiheiten gegenüber ihrer Herkunft zu erschließen. Jedoch empfand ich ihre philosophischen Betrachtungen mitunter zu langwierig. Sie haben mich mitunter gelangweilt, was sicherlich auch daran liegt, dass ich nicht dasselbe Wissen über die Theorien der Philosophen habe, die sie anführte. Sehr schade fand ich zudem, dass die Begegnung mit Sartre zu kurz kam. Sie wird erst auf den letzten Seiten des Buches thematisiert, so dass man über ihre Beziehung zu Sartre nicht mehr viel erfährt. Es lohnt sich wohl, die Memoiren zu lesen, aber man sollte sich bewusst sein, dass sie ihre Längen haben. Interessantes löst sich mit wiederkehrenden Gedanken ab. Eine sehr glückliche Person schien mir Simone de Beauvoir nicht gewesen zu sein.