„H wie Habicht“ von Helen Macdonald ist mir in der Buchhandlung sofort anhand des Covers und dann auch des Titels aufgefallen. Als Hobby Ornithologin zog mich die Thematik an. Darüber hinaus hatte ich bereits einige gute Bemerkungen bezüglich des Titels gelesen, die mich noch neugieriger gemacht haben. Zuerst hatte ich damals noch viel zu tun, so dass der Buchkauf immer weiter nach hinten verschoben wurde, bis ich es schließlich zu meinem zweiten Staatsexamen geschenkt bekommen habe. Meine beste Freundin hatte beim Anblick des Buches gleich an mich gedacht und wusste sofort, dass es etwas für mich ist. Dafür noch einmal vielen Dank! Es war ein super Buchgeschenk. Gelesen habe ich den Roman schließlich im Dezember. Dann konnte ich das Buch teilweise nicht mehr aus der Hand legen.
Doch genug des Vorgeplänkels. Nun komme ich zum Roman selbst und beginne meine Vorstellung mit dem Klappentext:
„Schon als Kind beschloss Helen Macdonald, Falknerin zu werden. Ihr Vater unterstützte sie in dieser ungewöhnlichen Leidenschaft, er lehrte sie Geduld und Selbstvertrauen und blieb eine wichtige Bezugsperson in ihrem Leben. Als er stirbt, setzt sich ein Gedanke in Helens Kopf fest: Sie muss ihren eigenen Habicht abrichten. Sie ersteht einen der beeindruckenden Vögel, ein Habichtweibchen, das sie auf den Namen Mabel tauft, und begibt sich auf die abenteuerliche Reise, das wilde Tier zu zähmen.“
Die Protagonistin des Romans ist Helen Macdonald, die Autorin selbst. Bereits in ihrer Kindheit hat sie ihre Faszination für Greifvögel entdeckt, wurde von ihrem Vater unterstützt und lernte schließlich auch das Handwerkszeug einer Falknerin. Aufgrund der starken Unterstützung von ihrem Vater war dieser eine wichtige Bezugsperson für Helen, sodass dessen Tod sie hart traf. Während ihr Wunsch einen Habicht abzutragen wächst, erkundigt sie sich nach Möglichkeiten einen Habicht zu kaufen und erfüllt sich letzten Endes diesen Wunsch.
Ab diesem Punkt im Roman beginnt der Leser gewissermaßen drei Handlungssträngen zu folgen, die jedoch sehr eng miteinander verzahnt sind:
1. Zum einen wird der gesamte Vorgang des Abtragen des Habichts erzählt. Hier erfährt der Leser sehr viel über das „Zähmen“ des Vogels und auch über das Training mit diesem. Dabei wird der Leser in die Falknersprache eingeführt und lernt sowohl etwas über das Verhalten eines Habichts in Menschenhand als auch über das Verhalten eines Falkners in dieser Situation.
2. Als zweites zeigt Helen Macdonald die Lebensgeschichte des Autors T.H. White anhand der Lektüre seines Romans „The Goshawk“ auf. In diesem Teil erzählt sie davon wie T.H. White einen Habicht versucht hat abzutragen und über seine Erfahrungen mit dem Tier. Dafür zitiert sie immer wieder Passagen aus seinem Roman und führt zudem noch weitere Romane von ihm an, um dem Autor T.H. White und dessen Leben selbst näher zu kommen. In noch detaillierterer Form könnte dieser Teil auch gut der Bestandteil einer literarischen Analyse von „The Goshawk“ sein, die auf die Verbindung mit der Biographie des Autors eingeht und dessen Persönlichkeit untersucht.
Ein kleiner Exkurs zu T.H. White (1906-1964): Dieser Autor hat nicht nur „The Goshawk“ verfasst, sondern auch „Der König auf Camelot“. Der zweite Roman liegt als Artusroman vielen heutigen Artusgeschichten zugrunde, so zum Beispiel auch der bekannten Adaption „Die Hexe und der Zauberer“, einem Zeichentrickfilm, den Walt Disney veröffentlicht hat. Macdonald interpretiert zugleich die Romane des Autors in Bezug auf den Autor, setzt die Romane selbst aber auch in Verbindung.
3. Zum Schluss gibt es noch einen Strang, der sich mit der Geschichte von Helens Familie auseinandersetzt. Diesen könnte man fast an den ersten Strang anschließen, er hebt sich jedoch derart ab, dass hier nicht der Habicht im Vordergrund steht. In diesem Teil steht Helens Familie im Vordergrund und wie diese mit dem Verlust von ihrem Vater umgeht. Nun erlebt der Leser Helen in dem Londoner Umfeld und nicht mehr an ihrem selbstgewählten Wohnort in Cambridge, wo sie zudem an der Universität arbeitet.
Jede Geschichte für sich empfand ich als interessant und spannend. Aber umso besser gelingt Macdonald die Verzahnung dieser drei Ebenen. Der Tod des Vaters ist der Auslöser für alle drei Handlungsstränge. Er führt zum Abtragen des Habichts und der gleichzeitigen Beschäftigung mit T.H. White. Auf der persönlichen Entwicklungsebene von Helen Macdonald treffen sich diese Stränge: Denn während T.H. White mit seinem Habicht regelrecht zum Eremiten wird, so vereinsamt auch Helen, während sie Mabel abträgt. Denn sie identifiziert sich immer mehr mit dem Raubvogel. Aber erst nach der Beerdigung beginnt Helen zu bemerken, dass ihr Leben, das sie momentan führt, nicht wirklich gesund ist. Und das geschieht damit im Umfeld ihrer Familie.
Soviel zu den Handlungssträngen, deren Verzahnung mich begeistert hat. Ebenso besonders empfand ich die Sprache, die Macdonald in ihrem Roman verwendet hat. Ich habe das Gefühl Naturbeschreibungen selten in einer derart zauberhaften poetischen Sprache gelesen zu haben. Eine Stelle aus der Arbeit mit Mabel möchte ich auch nicht vorenthalten. Lasst euch selbst einmal verzaubern:
„Die Federn ihrer Brust haben die Farbe sonnenbeschienen Zeitungspapiers, teebefleckten Papiers. Jede einzelne läuft zu einer dunkleren Speerspitze mit Blattspreite aus, sodass sie von der Kehle bis zu den Füßen in einem Muster aus fallenden Regentropfen badet. Ihre Schwingen haben die Farbe fleckiger Eiche, die Decken sind in einem hellen Teakholzton gerändert, die gebänderten Schwungfedern liegen ordentlich gefaltet darunter. Daneben ist noch ein seltsamer Grauton wahrzunehmen, eher zu spüren, als zu sehen, eine Art silbriges Licht, wie ein Regenhimmel, der sich in einem Fluss spiegelt.“ (S. 117)
Die Einordnung dieses Romans in ein Genre ist schwierig, ich wage sogar zu sagen, dass es unmöglich ist. In einer Buchhandlung habe ich es bei den Biographien eingeordnet gesehen, in der ornithologischen Zeitschrift „Der Falke“ wurde er unter Sachbüchern aufgezählt. Jedoch ist es kein typisches Sachbuch, da auch die Geschichte von Helen Macdonald erzählt wird und nicht nur Sachwissen über die Falknerei oder eine literarische Analyse von T.H. White durchgeführt worden ist (jeweils mit Zitaten und Quellenangaben am Ende des Buches). Aber für mich mutet der Roman auch zeitgenössisch an, da er zum einen in der Gegenwart spielt, die Trauerbewältigung als Mittelpunkt behandelt und zum anderen noch in einer besonders schönen poetischen Sprache verfasst worden ist. Ich schätze, jeder kann für sich ein Genre finden, wenn er möchte, aber für mich hängt dieser Roman zwischen allen drei Einordnungen, denn die Autobiographie von Helen Macdonald selbst ist auch nicht abzustreiten.
Meiner Meinung nach ist dieser Roman etwas Besonderes. Ich habe viel über die Falknerei hinzugelernt. Der gesamte Aufbau der Ebenen und ihre kunstvolle Verknüpfung untereinander, der Sog der kunstvollen Sprache ist nicht nur für Ornithologen etwas begehrenswertes, sondern wird auch viele andere Leser berühren. T.H. White war mir bisher als Autor nicht bekannt, sodass dessen Lebensgeschichte und seine Romane sehr spannend waren. Aber sicherlich würden auch englische Literaturwissenschaftler hier einen interessanten Ansatzpunkt finden, da Macdonald ihre eigene Analyse des Autors und des Romans „The Goshawk“ vorlegt. Eine Analyse, die verstärkt psychologisch geleitet ist.
Macdonald zeigt in „H wie Habicht“, dass sie Sachwissen mit ihrem guten Gespür für eine dichterische Sprache verweben kann. Diese Sprache verklärt jedoch nichts, sondern erscheint im Zusammenhang des Romans sehr präziser. Gefühlt präziser als es eine wissenschaftliche Herangehensweise vermocht hätte.
In mir hat der Roman den Wunsch geweckt, mich wieder mehr mit meinem ornithologischen Hobby auseinanderzusetzen. Erinnerungen an meine Zeit in Finnland kamen wieder hoch, als ich an einer Vogelwarte gearbeitet hatte. Dort hatte ich meinen ersten wilden Greifvogel in der Hand. Das war der kleine Bruder des Habichts, ein Sperber. Es war eine faszinierende Erfahrung gewesen. Zum einen der wilde Vogel, der frei fliegen konnte, sofern er wieder frei war und ich, die ihm diese Freiheit kurzzeitig nahm. Jedoch ging es dabei nicht um eine Zähmung, sondern um eine Beringung, damit bei einem möglichen Wiederfang des Vogels oder Wiederfund als totes Tier Daten für die Wanderwege und das Alter der Sperber erlangt werden können.
Die beiden Preise, die der Roman erhalten hat, hat dieser auch verdient. Sowohl den „Samuel Johnson Price“, der an herausragende Sachbücher in England verliehen wird, als auch den „Costa Award“ für das beste Buch des Jahres. Ich bin gespannt, was das Lesejahr für mich noch bringt, aber bisher war dieser Roman mein Highlight und ich kann es uneingeschränkt weiterempfehlen.
Nichts zu danken 🙂 Aber immer wieder schön, zu hören, dass es dir gefallen hat. ❤ Auch ohne Rezi hast du mich schon neugierig gemacht – und das mir, die sich so gar nicht für Vögel interessiert. 😉